Samstag, 10. Juli 1790

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Glandera

Mit den Händen in die Hüfte gestemmt, starrte Hilde ihre Tochter an. „Ich sehe dir an der Nasenspitze an, dass du mehr weißt. Sag, wo kommt dieser Korb her?“

Reumütig sah Glandera auf die dritte Lieferung, die sie in dieser Woche erhalten hatten. Sie reichte für das ganze Wochenende. Einerseits war die junge Frau dankbar und doch andererseits plagte sie das schlechte Gewissen.

„Gut, ich gebe zu, ich habe jemanden kennengelernt.“

Ihre Mutter horchte auf. „Wer ist dein Gönner?“

Mit erhobenen Händen wehrte Glandera ab. „Nein! Bitte, ich kann dir nicht erzählen, wer es ist. Nicht heute.“

„Du kennst die Folgen.“ Hilde zeigte mit dem Finger auf den Tisch. „Kein Bursche macht seiner Angebeteten solche wertvollen Geschenke, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.“

Sie verdrehte die Augen. „Er fragte, ob ich mich mit ihm verabrede. Aber ich habe verneint.“

„Will er dich heimlich treffen?“ Die Fingerspitzen von Hilde trippelten auf den Tisch.

„Nein, dort, wo uns jeder sieht. Und nein, Mutter, er drängt mich zu nichts.“ In Glanderas Kopf wurde das Geräusch zu einem lauten Trommeln. „Ich lehnte ab, weil ich ihn nicht kenne.“

„Wenn du ihn nicht triffst, kannst du ihn auch nicht kennenlernen.“ Müde ließ sich Hilde auf den Stuhl fallen. Ein langer Tag auf dem Markt lag hinter ihr.

„Ich weiß.“ Das Geräusch war ver­stum­mt und sie seufzte.

„Er ist wohlhabend, wenn er solche Geschenke macht.“ Als ob nichts gewesen wäre, bediente sich Hilde aus dem Korb. Sie rieb eine Pflaume mit den Händen blank. „Du solltest darüber nachdenken. Oder hat er keine glückliche Gesichtsbildung?“

„Das ist es nicht“, antwortete Glandera gedehnt und ließ ihre Gedanken schweifen. Ferrons Haut war gebräunt und ebenmäßig. Sein kurzer Bart war stets gepflegt und sein dichtes dunkles Haar glänzte in der Sonne. Er war älter als sie, bestimmt Anfang dreißig, und drückte sich gebildet aus, was sie sonst von keinem Mann sagen konnte, den sie näher kannte. Vor lauter Angst hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht, doch sie fand ihn gutaussehend. Sie erinnerte sich an seinen enttäuschten Blick, weil sie seine Einladungen abgelehnt hatte. Bei jeder Begegnung war er freundlich, wenn nicht sogar fürsorglich, und akzeptierte ihre Grenze. Ihr wurde warm ums Herz. Sie schüttelte heftig den Kopf – er war Magier und die Vorstellung, sich mit ihm zu treffen, empfand sie als völlig abwegig.

Still verabschiedete sich Glandera, trottete die Treppe hoch und zog sich in ihr Zimmer zurück. In Gedanken versunken griff sie unter das Bett und holte den Bergkristall hervor. Heute hatte sie einen perfekten Amethyst und einen Rauchquarz als Aufmerksamkeit von ihm erhalten. Doch wieso kannte sie deren Bezeichnung? Vor dem Fenster setzte sie sich auf den Stuhl und platzierte die Quarze auf der Fensterbank im Sonnenlicht. Dann faltete sie ihre Hände und legte das Kinn darauf. Die Kostbarkeiten waren auf Augenhöhe und die Kristallflächen so perfekt, dass sie ihr Gesicht spiegelten. Nachdenklich starrte sie hinein und je länger sie diese betrachtete, umso mehr fielen ihr kleine Nadeln und Einschlüsse darin auf.

So behutsam, als ob er ein frisch geschlüpftes Küken wäre, strich sie mit der Fingerspitze über den Bergkristall. Sie lächelte, als das wohlbekannte Kribbeln anfing. Für sie bedeuteten diese Steine die Welt. Wusste das der Magister? Würde ein Mann seiner Angebeteten nicht eher eine Rose schenken? Sie war arm und ohne Mitgift fand sie nicht mal einen Ehemann. Was in aller Herrgotts Namen wollte dieser Erdmagier von ihr?

„Die Quarzsucherin“ ist bei BoD unter der ISBN 9783757807108 erschienen und im Buchhandel als Taschenbuch und E-Book erhältlich.

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