Kapitel 24

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Am Rande seines Sichtfelds, hatte Theovin etwas wahrgenommen. Es war so plötzlich geschehen, dass er nicht wusste, ob er es sich nur eingebildet hatte. Der Vernarbte rieb sich die Augen. Er war so müde und schlapp, als hätte er gerade erst den Berg bestiegen. 
Theovin klammerte sich an die Ziegel und beugte sich vorwärts. Seine Hände zitterten und er zog sich wieder zurück. Es war zu gefährlich. Mit dem Rücken ans Dach gelehnt, versuchte er zu vermeiden, hinunterzurutschen.


Plötzlich sah er, wie Pecus seitlich am Turm vorbeiging. In der Hocke lief er auf den Platz zu. Dort lag das Hauptlager. Blut tropfte von dessen Händen in den Schnee. Schwarz traf auf Weiß.


Was war passiert? Das Letzte was er wahrgenommen hatte, war der Fremde, wie er versucht hatte, auf die Leiter zu springen. Theovin erinnerte sich nicht, ob es dem Heiler gelungen war. Als er zum Turm sah, wurde ihm klar, woher diese die Wunden kamen.
Ein Großteil der Holzbretter waren durchgebrochen, hingen nur lose da oder fehlten komplett. Der Vernarbte wusste nicht, was er tun sollte. Pecus ließ ihn allein und von Belasar war nichts zu sehen. Er hatte damit gerechnet, dass der große Mann alsbald vom Turm herabsteigen würde, aber es passierte nichts.


Bei jedem Atemzug schmerzte Theovins Bauch. Er versuchte, sich zu beruhigen und legte den Kopf auf dem eisigen Lehmziegel hinter sich ab, während er an dem steinernen Bauwerk emporblickte.


Wo blieb er nur? Der Heiler konnte ihm gestohlen bleiben, aber er brauchte Belasar. Wie sollte er es sonst lebendig aus der Festung hinausschaffen? Der Vernarbte wollte sich nicht damit abfinden, an diesem Ort zu sterben. Hier war es trostlos und einsam.
Ohne dass es ihm auffiel, schlitterte Theovins Körper auf die Dachkante zu. Dieser hingegen hatte nur Augen für die Turmspitze. Als seine Füße über den Weg darunter ragten und der Vernarbte zu sich kam, war es zu spät.


Er begann zu rutschen, griff hilfesuchend um sich, dann knallte er auf den Boden, wie ein Stein. Etwas knackte. Es war sein rechtes Bein. Mit einem Mal war das Pochen auf seinem Bauch nicht mehr zu spüren. Sein Bein wurde von einem Schmerz durchflutet, als hätte jemand etliche Messer hineingejagt. Theovin biss sich in den Arm, um nicht zu schreien.


Wie ein Stück Elend lag er da. Der gebrochene Mann jammerte, fluchte und weinte in seine Hände hinein, welche er sich vor das Gesicht hielt. Er musste Belasar erreichen. Theovin konnte an nichts anderes denken. Der Heiler würde ihm zwar helfen können, aber dieser war in seinen Augen bereits verloren.


Der Bär konnte ihn tragen, dem war sich der Verletzte sicher. Mit wankendem Körper und Willen, richtete sich die Gestalt auf. Die Leiter konnte er nicht nehmen, aber es gab einen anderen Weg. Der Turm musste von innen begehbar sein, dem war sich Theovin sicher.
Vorsichtig lehnte er sich gegen das Gestein und versuchte auf dem linken Bein zu stehen, während er sich mit der rechten Schulter an der Wand stützte. Durch den Schnee hüpfend und an dem Gebäude entlang hangelnd, kam er schleppend vorwärts.
Er hoffte auf eine Tür, die ins Innere führen würde. Es musste sie einfach geben. Theovin wurde schummrig. An die Wand gelehnt, versuchte er die Augen offen zu halten. Die gesamte Situation überforderte ihn maßlos.


Er hatte gehofft, dass der Aufweg und Abweg das Schlimmste sein würden, was er auf dem Kriegszug hinnehmen musste. Jetzt war es so weit gekommen. Wäre er doch nur in der Heimat geblieben, hätte weiterhin seine Mutter gepflegt und sich nach ihrem Tod in eine ordentliche Arbeit gerettet. Er hätte so vieles werden können.


Handwerklich war er nicht ganz ungeschickt und geistig konnte er mit den anderen Bauern mehr als nur mithalten. Dennoch hatten all seine Entscheidungen hier her geführt. In die Einsamkeit, mit verbranntem Angesicht, gebrochenem Bein, aufgeschlitztem Bauch und massakrierter Seele.


Seine Lippen wurden brüchig und durch die kalte Luft war Theovins Kehle zu ausgetrocknet, um jene zu befeuchten. Alles fühlte sich an wie ein Fiebertraum.


Kraftlos schleifte sich der Gebrochene an dem Bauwerk vorwärts. Der Mond stand mittlerweile unterhalb der Mauer. Zum ersten Mal waren Sterne am Himmelszelt auszumachen. Es war zu dunkel, um zu sehen, daher tastete sich Theovin vorwärts. 
Holz. Nichts anderes wollte er fühlen, doch stattdessen war es nur Stein. Die Verzweiflung holte ihn ebenso ein wie seine Vergangenheit. Er wollte alles von sich abschütteln, wieder aufwachen und diese Welt der Albträume hinter sich lassen.
Er zog sich die Handschuhe mit den Zähnen aus und stopfte sie sich unter den Gürtel. Gedankenverloren tastete er nach seinem Alkohol. Theovin hatte vergessen, dass alles aufgebraucht war.


Seine Finger fuhren abermals über den unebenen Stein. Mit der Zeit hatte er sich an dessen Kälte gewöhnt. Sie machte ihn müder, erschöpfter. Ungeahnt ertastete er, wonach er gesucht hatte. Eine Unebenheit. 


Das Gestein sank mit einem Mal ab. Er folgte mit den Fingerkuppen. Endlich berührte er ein anderes Material. Es war Metall und dann Holz. Ein Scharnier. Ungeduldig fuhr er die Türe ab und suchte nach einem Griff. Schlussendlich fand er diesen.
Theovin lehnte sich mit seinem, wenn auch geringen, Körpergewicht zurück, um die Tür durch den Schnee zu ziehen. Schwermütig legte er seine Kraft hinein und vernahm dann ein Schleifen über den Untergrund. Nach dem Spalt tastend beschloss er, dass dieser groß genug für ihn war. Er quetschte sich durch die Lücke.


Vor Erschöpfung zusammensacken, setzte er sich auf eine Steinstufe. Obwohl er nichts sehen konnte, war ihm klar, dass er sich in einem Treppenhaus befand. Im Inneren war kein Schnee zu finden. Lange Zeit war jene Tür verschlossen gewesen. Es fühlte sich an wie in einer Gruft.


Auf dem Hinterteil setzte sich Theovin auf die Stufen und zog das nutzlose Bein hinter sich her. Er wollte sich beeilen, da er fürchtete, schon bald von den Wesen entdeckt zu werden, die ihm die Wunde am Bauch zugefügt hatten.
Als er sich hinauf hetzte, riss die Verletzung wieder auf und sein Verband wurde in Blut getränkt. Es wärmte ihn. Für einen Moment dachte er darüber nach, sich selbst einzupissen, für denselben Effekt. Als er sich besann, dass ihm durch die durchweichte Hose kälter werden würde, verwarf er die Idee.


Die Blutung stoppte irgendwann. Sie hatte Theovin nicht daran gehindert, weiter zu gehen, selbst wenn er sein Tempo gemindert hatte.
Belasar würde auf ihn warten. Er würde da sein. Ganz bestimmt.


Mittlerweile gab es nichts am Körper des gebrochenen Soldaten, dass nicht schmerzte. Der Aufweg war qualvoll und schien nicht zu enden. In diesem Moment war Theovin froh über sein Leiden. Es hielt ihn wach, veranlassten ihn, weiter zu gehen. Schon bald würde er oben ankommen sein.


Der Vernarbte begann zu husten. Das Geräusch hallte an den Wänden wieder. Er bildete sich ein, unter sich ein Rütteln an der Tür gehört zu haben. Ob es der Wind war oder nicht, wollte er gar nicht erfahren. Alles wonach es im verlangte war an der Spitze anzukommen.

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