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Stimmen in der Nacht

In the world of Te'Anat

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Stimmen in der Nacht

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Dorin lugte an dem Baum vorbei. Der Rand das Wäldchen, in dem er sich befand, war lediglich ein paar Meter entfernt. Hinter ihm rang Amirin, die Hände auf die Knie gestützt, nach Atem. "Verdammt!", keuchte Berin, während er sich auf seine Hellebarde stütze, "Verdammt! Verdammt nochmal!" Eldian war in die Hocke gegangen und umschlang seine Beine mit den Armen. "Warum?", wimmerte er. Seine Augen waren feucht und starrten ins Leere. "Warum ausgerechnet, Sarin?"

"Scheiße!", zischte Dorin hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Er schlug mit der Faust gegen den Baum, um seine Wut herauszulassen. Der Schmerz kam stechend und schnell. Ein befriedigendes Gefühl. "Warum hat uns niemand gesagt, das die Bastarde gleich mehrere Magier haben! Das ist ein Massaker da draußen!" Er beobachtete einen kleinen Trupp Speerträger, die nicht weit von ihnen, über ein Feld zur nächsten Deckung hetzten. "Die ganze Formation hat sich aufgelöst. Warum wird nicht zum Rückzug geblasen?"

Wieder zuckte einer dieser roten Blitze über den Himmel. Er traf genau zwischen dem Trupp auf. Flammen hoben sich brausen und zischend in die Luft, zogen sich wieder zusammen und versiegten. Innerhalb von Sekunden waren verkohlte Leichen und geschmolzene Rüstung alles, was von dem Trupp übrig blieb. Die Männer hatten nicht einmal Zeit zum Schreien gehabt. Dorin verzog den Mund zu einer Grimasse des Zorns. "Scheiße! Bastarde!", zischte er. Wie er es hasste, nichts tun zu können.

"Wir können hier nicht bleiben", stellte Berian fest. Wie immer übernahm er die Führung über sie. So war das schon seit sie Kinder gewesen waren. "Wenn so ein Feuerball hier in den Wald einschlägt werden wir lebendig geröstet, nur das es nicht so schnell gehen wird wie bei den armen Schweinen da vorn, oder wie bei Sarin." Dorin hörte auf das Feld zu beobachten und drehte sich zu den anderen um. Er überragte sie alle um mindestens einen Kopf. Eldian hatte sich vornüber gebeugt und würgte. Tränen liefen über sein Gesicht "Etwas sensibler vielleicht, Berian!", Amirin warf ihm einen mahnenden Blick zu und beugte sich zu Eldian runter. Er war schon immer das Herz ihrer Clique. Berian ging nicht darauf ein. "Wir müssen jetzt schnell, aber auch überlegt handeln. Sonst kommen wir hier nicht lebend raus."

"Da vorne ist ein Alter Bauernhof. Das Bauernhaus scheint Steinmauern zu haben. Wenn wir Glück haben gibt es auch einen Keller", stellte Dorin schnell fest, "Allerdings müssen wir über freies Feld laufen, wenn wir dahin wollen. Selbst wenn wir rennen, sind wir ein paar Minuten ungeschützt."

"Ich hab gezählt!", warf Amirin ein, "Zwischen den Feuerbällen vergeht grob eine Minute." "Vielleicht wenn wir uns aufteilen?", überlegte Berian, "Wenn wir mit genug Abstand voneinander laufen, stehen die Chancen, dass es wenigstens ein paar von uns schaffen nicht schlecht. Vermutlich machen sie sich auch gar nicht die Mühe auf einzelne Männer zu Zielen." 

"Wir könnten es schaffen", stimmte Dorin zu. Sein Blick fiel auf Eldian, der immer noch auf alle viere gestützt war und am ganzen Körper zitterte. Er war der jüngste von ihnen. Früher war er einfach immer seinem Bruder Sarin hinterhergelaufen. Er lachte panisches auf, "Ihr könnt das schaffen, ja. Aber ich? Ich werde genauso wie Sarin enden!", er wimmerte, "Verdammt. Warum habe ich mich nur gemeldet." 

"Kopfhoch, Eldian. Wir schaffen das! Gemeinsam, ja!", Amirin hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt, "Wir haben deinem Bruder versprochen auf dich aufzupassen, wenn ihm was passiert."

"Na, los Eldian! Reiß dich zusammen und hör auf zu flennen!", sagte Dorin schroff, "Wir lassen dich hier nicht zurück!"

"Ich... Ich werds versuchen.", Eldian schluckte und richtete sich langsam auf, "Bis zu dem Haus dahinten? Ja. Ja, das schaffe ich. Für Sarin!" Berian gab ihm einen Klaps auf den Rücken "Das ist die richtige Einstellung! Also alle Bereit?" Die anderen nickten. "Gut! Wir laufen mit jeweils ein paar Metern Entfernung voneinander. Sobald der nächste Feuerball einschlägt, geht es los! Achtung!" Ein roter Blitz schoss über den Himmel. "Fertig!" Er schlug in einiger Entfernung ein. "Los!" Sie rannten.

Dorin rannte. Seine Hellebarde hielt er horizontal, mit der Spitze nach vorne, wie beim Sturmangriff. Er rannte. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Atmen! Die anderen fielen mit jedem Schritt, den er tat weiter zurück. Bin immer noch schneller! Er rannte weiter. Rannte über das Feld. Vorbei an den verkohlten Kratern, die es spickten. Von einigen stieg immer noch Rauch auf. Der Geruch von verbranntem Fleisch füllte die Luft. Uagh! Überall waren Schreie zu hören. Die Schreie derer, die nicht das Glück hatten, sofort verbrannt geworden zu sein.

Dorin zählte die Sekunden. Eine Minute war verstrichen. Kurz darauf schoss eine weitere Flammenkugel blitzartig über den Himmel. Sie schlug irgendwo hinter ihm ein. Er blickte zurück. Das Wäldchen, in dem sie Unterschlupf gesucht hatten, stand lodernd in Flammen. Glück gehabt!

Er rannte weiter. Der Bauernhof rückte näher. Ein Drittel der Strecke hatte er hinter sich gebracht. Weiter!  Er sprang über eine Furche im Feld hinweg. Weiter immer weiter! Die Hälfte hatte er nun hinter sich. Sein Kettenhemd rasselte mit jedem Schritt. Weiter!

Wieder ein roter Blitz am Himmel. Dorins folgte ihm mit den Augen, während er über den Himmel schoß. Er explodierte inmitten einer kleinen Gruppe Soldaten, die am Rand des Feldes entlang liefen. Scheiße! Einer von ihnen wurde nur zum Teil von der Flammenkugel eingehüllt. Halb verbrannt taumelte er von seinen toten Kameraden fort. Sein Helm war an sein Gesicht geschmolzen und seine Kleidung hatte Feuer gefangen. Gurgelnde Schreie drangen an Dorins Ohr, während der Mann lebendig verbrannte. Armer Bastard! Er spürte den Zorn in sich hochkochen. Er biss die Zähne zusammen, um vor Wut nicht aufzuschreien. Weiter! Stattdessen legte er noch einen Zahn zu. Er nutzte seine Wut, um alles außer seinem Ziel auszublenden. Die Schreie schienen zu verstummen. Der Geruch nach verbranntem Fleisch schien nicht mehr als eine ferne Erinnerung. Er fühlte sich fast wie in Trance. Ein Schritt nach dem Anderen. Jeder brachte das Bauernhaus näher. Nur noch ein paar Meter.

Dorin kam schlitternd im steinernen Türrahmen des Hauses zum Stehen. Er öffnete die Tür und blickte zurück. Berian hatte ihn fast erreicht, Eldian und Amirin waren jedoch weit zurückgefallen. "Kommt schon!", feuerte er sie an, "Na los!" Berian blieb neben ihm stehen. "Los ihr zwei!", schrie er.

Amirin und Eldian hatten den Hof erreicht. Nur noch wenige Meter trennten sie, da kam Eldian ins Stolpern. Amirin blieb stehen, lief ein paar Schritte zurück und beugte sich runter um Eldian aufzuhelfen. Ein rotes Licht blitzte über dem Bauernhof auf. "Achtung!", schrie Berian. Dorin lies seine Hellebarde fallen, um nach ihm zu greifen. Das Licht wurde heller und nahm das gesamte Sichtfeld ein.  Ein Ohrenbetäubendes tosen überdeckte alle anderen Geräusche. Danach herrschte nur noch Stille.

Dorin kam zu Bewusstsein. Etwas Weiches lag unter ihm. Berian? Er öffnete die Augen und musste sofort wieder schließen. So hell! Er rollte sich von der weichen Masse unter ihm runter und stieß gegen eine Wand. Immer noch blind schob er sich an ihr hoch, bis er in einer sitzenden Position war. Was ist passiert? Sein Kopf dröhnte. Mit Mühe versuchte er sich zu erinnern. Eine Explosion! Er hatte es gerade so geschafft sich und Berian in das Innere des Hauses zu werfen. Dadurch waren sie scheinbar knapp dem Tod entronnen. Und die anderen? "Hallo? Ist noch jemand hier?", rief er. Keine Antwort. "Amirin! Eldian! Seid ihr hier?" Stille! Scheiße! Mit dem Fuß suchte er nach der weichen Masse, auf der er gelegen hatte und stupste sie an. "Hey! Berian! Lebst du noch!" Keine Regung! Er stupste sie noch einmal an. "Komm schon! Berian!", schrie er. Wut und Verzweiflung stiegen in ihm auf. "Scheiße! Tut mir das nicht an!" Diesmal trat er zu.

"Arg! Verdammt!", Berian rollte über den Boden von ihm weg. "Was sollte das?" 

"Ich dachte, für einen Moment, du bist Tod", es lag deutliche Erleichterung in Dorins Stimme. Es rumpelte, als Berin sich unbeholfen aufsetzte.

"Wo sind die anderen?", fragte er.

"Ich... Ich weiß es nicht! Die Explosion hat mich geblendet. Ich habe versucht zu rufen...", Dorin brach ab.

"Vieleicht... Vieleicht sind sie auch nur ohnmächtig?", Berian  klang nicht sehr überzeugt, "Ich schaue mal, ob ich irgendetwas erkennen kann."

"Willst du wirklich wieder da raus? Jetzt wo wir es gerade so in Sicherheit geschafft haben?"

"Ich schaue nur mal aus der Tür. Vielleicht kann ich irgendetwas erkennen." Es rumpelte, als Berian aufstand und durch den Raum schritt. Dann herrschte einen Augenblick Stille.

"Was siehst du?", fragte Dorin. Er erhielt ein Würgen als Antwort.

"Eine Leiche! Von der Größe her würde ich auf Amirin Tippen, aber ich bin nicht sicher", Berians Stimme klang schwach, "Warte! Da neben der Scheune liegt noch etwas! Verdamt! Das muss dann wohl Eldian sein! Du kannst froh sein, dass du im Moment nichts sehen kannst!"

"Scheiße! Also nur noch wir beide!"  Dorin lehnte sich, mit geschlossenen Augen an die Wand zurück und konzentrierte sich einfach darauf ein und aus zu Atmen. Trotz der regelmäßigen Explosionen, der Schreie der Sterbenden und dem restlichen Schlachtenlärm kam es Dorin sehr Still vor, all das schien so fern zu sein. Endlich mal ruhe! Er blieb noch eine weile so liegen, dann öffnete er die Augen. Sie brannten immer noch, aber er konnte es aushalten. Zeit das ich mich mal etwas umsehe!

Der Raum, in dem sie sich befanden, war nicht sonderlich groß. Auf einer Seite führte eine Tür in einen weiteren Raum und daneben eine Treppe ins nächste Stockwerk. Mit unterschiedlichen bunten Mustern bemalte Tonkrüge und -tassen, waren ordentlich nebeneinander auf einem Regalbrett aufgestellt. Verschieden große Töpfe und andere Kochutensilien hingen an Haken darunter. Ein großer, massiver Holztisch, an den man fünf Stühle geschoben hatte und eine Kochstelle nahmen einen Großteil des Raumes ein. An die Kochstelle waren ein Schürhaken und eine Axt angelehnt und etwas Feuerholz war daneben aufgestapelt worden. Auf dem Fensterbrett, des einzigen Fensters im Raum stand eine kleine Vase, mit einem Strauch roter Blumen, von denen einige schon am Welken waren.

"Was glaubst du ist mit ihnen passiert?", fragte plötzlich Berian und brach so ihr schweigen. 

"Hmm? Mit Amirin und Eldian?Ist doch ziemlich offensichtlich, was mit ihnen passiert sein muss."

"Nein. Ich meinte die Familie, die hier gelebt hat.", Berian hielt inne und gestikulierte durch den Raum, "Was meinst du ist mit ihnen passiert?"

"Ist mir doch egal was mit denen passiert ist! Von mir aus können alle Jordanier vom Schatten verschluckt werden", erneut fühlte er Wut in sich hochsteigen. Amirin! Eldian! Salvin! Verfluchte Jordanier! 

"Das mag ja so sein", sagte Berian ruhig, "Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass hier keine Jordanier gewohnt haben." Er zeigte auf die Tonkrüge. "Diese Muster sind edianischer Herkunft. Ich glaube kaum das ein Jordanier sich so etwas ins Haus stellen würde."

Dorin antwortete nichts darauf. Stattdessen stand er auf und ging durch den Raum zu der Tür neben der Treppe. Dabei vermied er bewusst durch den Hauseingang nach draußen zu blicken. Das muss ich echt nicht sehen! "Mal schauen, ob die uns irgendwas zu essen dagelassen haben!"

"Willst du wirklich von ein paar Bauern stehlen?", fragte Berian missbilligend.

"Man kann es ja kaum stehlen nennen, wenn wir im Krieg sind! Außerdem wenn das wirklich diese ketzerischen Edianer sind, die hier leben, habe ich erst recht kein Problem damit." Dorian stieß die Tür auf. Dahinter lag ein kleiner Lagerraum. Mehrere mittelgroße Säcke waren an die hintere Wand gelehnt. In einem Regal an der Seite standen eine Vielzahl verschlossener Tonbehälter und -krüge, zum Teil mit Kork und Wachs versiegelt, ganz oben auf dem Regal lag ein großes Rad Käse. An der Decke hingen verschiedene Kräuterbüschel zum Trocknen. "Sieh dir das an Berian! Das ist genug, damit wir uns nen ganzen Monat satt essen können!"

Berian seufzte und schüttelte den Kopf. "Du solltest endlich mal damit aufhören alles in Schwarz und Weiß zu sehen."

"Heißt, dass du willst nichts davon abhaben?", fragte Dorin grinsend. Eine Explosion in ihrer Nähe ließ beide herumfahren. Sie lauschten. Ein Moment verstrich. Dann atmeten beide auf.

"Wenn die Jordanier so weitermachen steht das Haus sowieso nicht mehr lang", überlegte Berian. Er seufzte wieder. "Ach was solls. Zeig mal her was wir haben!"

 

 

Dorin lehnte sich in dem Stuhl zurück. Es waren mittlerweile mehrere Stunden vergangen, seit sie in dem Bauernhaus Unterschlupf gefunden hatten. Vor kurzem war die Sonne untergegangen. Nun war es draußen stockfinster, da der Mond und die Sterne hinter einer dicken Schicht Wolken versteckt waren. Der Innenraum jedoch wurde von einem kleinen Feuer erhellt, das in der Feuerstelle prasselte und einer Kerze, die Berian auf dem Tisch platziert hatte. Auch die Schlacht war gegen Abend langsam zu ihrem Ende gekommen. Seit einiger Zeit konnte man keine Explosionen mehr hören und auch die Rufe und Schreie der Verwundeten und Sterbenden wurden langsam immer weniger. Dorin konnte nicht sagen, ob sie es geschafft hatten, die Stellungen der Jordanier einzunehmen. Vermutlich nicht! Nicht bei dem Gemetzel da draußen! Er kratzte sich am Kopf. Seinen Helm hatte er abgenommen und auf dem Tisch abgestellt. Er und Berian hatten die letzten Stunden genutzt, um sich ihre nächsten Schritte zu überlegen. Sie würden die Nacht über in dem Bauernhaus verbringen. Noch vor dem Morgengrauen wollten sie aufbrechen und im Schutz der Dunkelheit, ihren Weg zurück zu ihrem Lager suchen.

"Du solltest dich schlafen legen Dorin", sagte Berian plötzlich, "Wir sollten so fit wie möglich sein, falls wir auf Jordanische Truppen stoßen sollten. Ich würde die erste Wache übernehmen."

"Vermutlich hast du recht. Aber ich weiß nicht, ob ich überhaupt ein Auge zu bekommen werde. Ich werde es auf jeden Fall versuchen."

Dorin zog seinen Stuhl an die Wand und lehnte sich zurück. Er legte den Kopf auf die Brust und schloss die Augen. Nicht unbedingt sehr gemütlich! Erst jetzt merkte er, wie müder er eigentlich war. Er war seit morgens früh auf den Beinen und in der vorigen Nacht, hatte er in Erwartung der Schlacht auch nicht sonderlich gut Schlafen können. Es dauerte nicht lange, bis er in einen unruhigen Schlaf fiel. Seine Träume waren angefüllt mit Feuer und Tod.

"Dorin!" Etwas rüttelte Dorin aus dem Schlaf. "Dorin! Wach auf!" Berian stand über ihn gebeugt und schüttelte ihn mit einer Hand. Es lag Unruhe in seiner Stimme und seine Bewegungen waren hektisch. Irgendetwas stimmt nicht!

"Was ist los?", fragte Dorin leise. Schnell rappelte er sich auf. Unterbewusst ließ er seine Hand zu dem Dolch wandern, den er am Gürtel trug. 

"Ich habe etwas gehört!", Berian sprach in einem zischenden Flüsterton, "Da draußen ist irgendetwas." Er ging hinüber zu dem Fenster und öffnete den Fensterladen einen Spaltbreit. "Verdammt! Es ist zu Dunkel um viel zu erkennen!" Er starrte einen weiteren Augenblick. "Irgendetwas bewegt sich da. Könnte ein Mensch sein."

"Jordanier?", fragte Dorin. Sein Griff um den Dolch verstärkte sich. Sie hatten ihre Hellebarden verloren und nicht daran gedacht sie rein zu holen, aus Angst von einem Feuerball getroffen zu werden. Scheiße! 

"Nur einer? Glaube ich nicht. Irgendwie ... bewegt er sich komisch! Vielleicht ist er verletzt? Dann könnte es einer von uns sein!"

Dorin wollte gerade etwas erwidern, als ein Geräusch von Draußen an sein Ohr drang. "Hilfe" Schwach, aber verständlich. Ich kenne diese Stimme! Er und Berian sahen sich an. 

"Du... Du hast das auch gehört, oder?", stammelte Berian. Dorin nickte zur Antwort. "Verdammt. Ich könnte schwören, dass es sich wie Eldian angehört hat."

"Unmöglich!", zischte Dorin "Du hast doch gesagt, dass er tot ist?"

"Ich", Berian holte tief Luft, "Ich habe gesagt, dass es wie er aussieht, aber so genau habe ich nicht hingesehen. Vielleicht... Vielleicht habe ich mich geirrt? Vielleicht war er gar nicht Tod", er blickte Dorin an, es stand eine Komplexe Mischung von Emotionen in sein Gesicht geschrieben. Schock, Verwirrung, Trauer, Angst und Hoffnung, vermischten sich zu einer einzigartigen Grimasse. "Verdammt Dorin! Was ist, wenn ich mich geirrt habe? Was ist, wenn er die ganze Zeit am Leben war und wir... Und wir haben uns hier drin den Bauch vollgestopft und er... er musste die ganze Zeit...", Tränen liefen über Berins Gesicht, als er seinen über den Tag angestauten Emotionen endlich freien Lauf ließ. "Die ganze Zeit hat er da... hat er da draußen..."

Dorin legte ihm beide Hände auf die Schulter und sah Berian direkt in die Augen. "Beruhig dich Berian! Wir... Wir dürfen jetzt nichts überstürzen! Wenn Eldian noch am Leben ist retten wir ihn, aber wir dürfen nichts überstürzen! Ja?"

Berian holte noch einmal tief Luft und nickte. "Hilfe! Helft mir!" Wieder war die Stimme zu hören. Diesmal war es näher! Dorin ließ Berian los und ging zum Fenster. Draußen stand sich tatsächlich irgend etwas. Auf den ersten Blick sah es Menschlich aus aber etwas störte Dorin an diesem Wesen. Was ist das? In der Dunkelheit konnte er jedoch nicht viel erkennen. Wenn nur der Mond scheinen würde! "Hilfe!", das Wesen begann seinen Kopf zu bewegen, legte ihn schief erst nach links, dann nach rechts, dann nach Hinten. Die Bewegungen waren unnatürlich. In einem Moment langsam und fließend im nächsten ruckartig und schnell. Unmenschlich! "Helft mir! Wo seid ihr?" Das war eindeutig Eldians Stimme. "Warum habt ihr mich verlassen?"

"Dorin!", Berians Stimme zitterte, "Wir müssen irgend... irgendetwas machen! Irgendetwas!"

"Warte!", Dorins Blick sog sich an dem Wesen fest. Etwas stimmt hier ganz und gar nicht! Es begann sich zu Bewegen. Auf das Haus zu. Bei jedem Schritt  wogte der gesamte Körper mit, als würde eine Welle vom vorderen Fuß, hoch zu den Schultern und wieder runter zum hinteren Fuß gehen. Der Kopf jedoch wippte immer noch von einer Seite zur anderen, zuckte nach vorn und nach hinten. Dorin fühlte einen Schauder seinen Rücken runterlaufen. Das ist kein Mensch! "Wo seid ihr?"

Plötzlich blieb das Wesen stehen. Ein paar Meter vor der Haustür. Es beugte sich nach unten, mit einer einzigen fließenden Bewegung. Mit den Händen schien es über den Boden zu tasten. Was macht es? Mit den Augen suchte er den Boden vor dem Wesen ab. Sein Blick fiel auf eine Erhebung zwischen dem Wesen und er Tür. Amirin! Die Hände glitten zu dem Leichnam seines Kameraden, seines Freundes! Glitten zu dem Ort wo sein Hals sein musste. Der restliche Körper zog sich hinterher. Der Kopf senkte sich zu den Armen hinunter und dann...

Dorin würgte. Er stieß sich von dem Fensterbrett ab und stolperte nach hinten. Fühlte wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Fühlte, dass seine Augen vor entsetzen weit aufgerissen waren. "Was ist los?", Berian war bei ihm. Hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt. Dorin versucht zu sprechen, doch musste wieder würgen. "Dorin! Was ist los!", Berian schrie nun fast, schüttelte ihn, war der Panik nah! "Dorin antworte mir!" Dorin stieß sich von ihm ab, kam ins Stolpern, fiel, riss einen Stuhl mit und prallte mit dem Rücken gegen die Kochstelle. Dorin wimmerte, griff sich an den Kopf, spürte Feuchtigkeit in seinen Augen.

"Es... Es..." Er musste die Worte förmlich rauspressen, "Es frisst ihn! Es frisst Amirin!" Berian sagte nichts, sah ihn einfach nur an. Auf seinem Gesicht war Verwirrung geschrieben. Natürlich! Das ist verrückt! Die Haustür knarrte. "Da seid ihr ja!" Berian fuhr herum. Er und Dorin starrten gebant auf die Tür. Langsam schob sie sich auf.

 

Eine Bleiche Hand erschien in dem Spalt der offenen Tür. Vier lange, dürre Finger endeten in noch einmal so langen, geraden Klauen, die spitz zusammen liefen. Suchend, tastend schob sie sich an der Wand neben der Tür entlang. Eine zweite Hand umgriff die Tür und schob sie weiter auf. Der restliche Körper zog sich langsam hinterher. Das Wesen bewegte sich schwerfällig und doch zu gleich elegant, wie ein Raubtier vorm Sprung. 

Schließlich kam der Kopf des Wesens in Sicht. Dorin stockte der Atem. Blut und Sabber liefen aus einem Lippenlosen, breitem Maul. Reste von verbranntem Fleisch hingen zwischen drei Reihen messerscharfen Zähnen. Eine lange, gespaltene Zunge zuckte zwischen den Zähnen vor und zurück, wie bei einer Schlange. Über dem Maul zog sich fahle, weiße Haut über einen kahlen Schädel, der weder Augen, noch Nase zu haben schien, an den Seiten des Kopfes, wo die Ohren liegen sollten, waren lediglich jeweils ein Loch zu sehen, das ins Schädelinnere führte. Es war ein Monster von einer Kreatur. Ein Alptraum!

Dieses Wesen schien direkt aus den Geschichten zu stammen, die man Dorin als Kind erzählt hatte. Geschichten über den Schatten, Kreaturen die Menschen fraßen, Monster. Legenden! Märchen! Nach allem Verständnis, das Dorin von dieser Welt hatte, sollte dieses Monster nicht existieren.

Und doch trat es nun vollends in den Raum. Streckte sich, richtete sich auf. Mit über zwei Metern Größe konnte es gerade so aufrecht im Raum stehen. Der Kopf fing wieder an von einer Seite zur anderen zu wippen. Es drehte ihn von links nach rechts und zurück, während die Zunge in der Luft schmeckte. Es kann uns nicht sehen! "Wo seid ihr?", sagte das Wesen mit Eldians Stimme, ohne den Mund zu bewegen. Es hat seine Stimme gestohlen! "Seid ihr hier?", diesmal benutzte es Amirins Stimme.

Berian zog hörbar, scharf Luft ein. Schnell hielt er sich die Hände über den Mund, aber es war zu spät. Der Kopf des Wesens schoss herum. Nicht existente Augen fokussierten sich auf Berian. Das Maul zog sich in die Breite, es sah fast so aus als grinste das Wesen. Mehr Sabber lief zwischen den Zähnen heraus, tropfte auf den Boden. Berian wimmerte, blickte zu Dorin, Hilfe suchend, bittend. Doch Dorin bewegte sich nicht. Angst lähmte seine Glieder. Terror, machte all seine Gedanken zunichte. Er saß einfach nur da, die Augen vor Furcht weit aufgerissen.

Das Wesen sprang, schneller als Berian und Dorin reagieren konnten. Spitze Krallen durchstießen Berian, schnitten in sein Fleisch. Bleiche Hände drückten ihn zu Boden. Scharfe Zähne rissen und zerfetzten Haut und Muskeln.

Berian schrie. Schrie, wie Dorin noch nie einen Menschen hatte schreien hören. Hoch, schrill, gestreckt. "Hiiilfff miiir! Doriiinnn! Hiiiilff..." Das Maul schloss sich um Berians Hals. Dorin hörte die Wirbel brechen, als das Wesen zu biss. Berian verstummte noch im selben Augenblick. Sein Kopf, nun nicht mehr mit dem Rest des Körpers verbunden, rollte auf die Seite. Leere, tote Augen blickten Dorin fragend an. "Warum, hast du mir nicht geholfen?" Dorin blickte auf, das Wesen hatte wieder gesprochen, diesmal mit Berians Stimme. "Warum?" Kälte umschloss Dorins Herz, er hatte zugesehen wie sein Freund starb und nichts getan. Schon wieder. Sarin! Eldian! Amirin! Berian! Es tut mir leid! "Warum? Doriiinnn!" Er hatte seine Kameraden einfach sterben lassen. Es tut mir leid! Der Kopf des Wesens nährte sich Dorin. Die Zunge zuckte dicht vor ihm. "Doriiinnn!", sagte es in Berians Stimme und dann sprach es mit Eldians Stimme, "Wo bist du?"

Wut stieg in Dorin empor. Dieses Vieh hatte seine Freunde gefressen und ihnen ihre Stimme gestohlen. Der Zorn begann in ihm zu Kochen, löste das Eis in seinem inneren, verbrannte seine Angst. Dafür wirst du zahlen! Vermutlich würde er sterben, aber er würde diesen Bastard mit ins Grab nehmen. Das war er seinen Kameraden schuldig.

Seine Hand fand die Axt, die neben der Kochstelle gestanden hatte. Mit unglaublicher Geschwindigkeit schlug er nach dem Wesen. Die Axt fuhr durch die Luft und traf... Nichts? Das Wesen war zurückgesprungen, schneller als er es für Möglich gehalten hatte. Ich habe verfehlt? Nein! Auf dem Boden vor ihm wand sich etwas. Er hatte die Zunge abgehackt. Das Wesen kreischte vor Schmerz. Es fächerte seine Krallen auseinander und bleckte seine Zähne. Dann ging es zum Angriff über.

Dorin schaffte es gerade so sich aus dem Weg zu rollen, als das Wesen auf die Stelle sprang, an der er gesessen hatte. Wankend kam er auf die Beine. Wieder kreischte das Wesen, es klang fast frustriert. Dorin lacht innerlich auf. Gut! Er sammelte seinen Zorn. Den Zorn den er den ganzen Tag über aufgestaut hatte. Fühlte wie sein Inneres förmlich vor Wut brannte. Lenkte seinen Zorn, um sein Ziel zu erreichen. Er würde dieses Wesen töten. Er schwang die Axt, mit all seiner Kraft, legte seine ganze Wut in den Schlag. Dorin brüllte, laut genug, dass es ihm selbst in den Ohren weh tat.

Das Wesen sprang zur Seite. Dorin schwang die Axt ein Weiteres mal, doch es duckte sich unter dem Schlag weg. Nun schlug das Wesen zu, eine Klaue fuhr auf Dorins Bauch zu. Im letzten Moment stieß er sie mit dem Axtstiel nach unten und zur Seite. Trotzdem fuhren zwei der Krallen über seine Hüfte. Dorin biss die Zähne zusammen. Der Schmerz war lediglich weiterer Zunder für das Feuer, das in ihm Brannte. Er brüllte erneut, sprang auf die Bestie zu. Mal um Mal schlug er zu und Mal um Mal sprang das Wesen weg, duckte sich oder wich aus. Dorin schwang die Axt von oben nach unten, von links nach rechts, stieß mit dem Stiel zu, doch verfehlte jedes Mal. Immer schneller folgte ein Schlag auf den anderen, er konnte es vielleicht nicht treffen, aber er ließ ihm keine Zeit für einen Gegenangriff. Er musste nur oft genug zuschlagen, irgendwann würde es einen Fehler machen. Sie drehten sich durch den Raum wie beim Tanz. Das Wesen wich zurück und Dorin folgte nach. Er trieb es in die Enge und es entwischte ihm.

Dorin verlor sich in dem Rhythmus ihres Kampfes. Nur noch seine Wut und sein Gegner existierten für ihn. Siegen oder verlieren. Er und sein Feind wurden Eins, eine Zweisamkeit, in der beide Hälften Teil eines Größeren waren. Die Grenze zwischen sich und dem Wesen schienen zu verblassen. Er begann das Muster zu sehen, welches sie zu verbinden schien. Fast konnte er die Bewegungen seines Gegners kommen sehen bevor dieser sie ausführte. Nur noch etwas länger und er würde eine Öffnung in der Deckung seines Feindes sehen und es beenden können. Nur noch etwas!

Dorin rutschte aus. Er landete in einer Pfütze von Berians Blut. Die Axt fiel ihm beim Aufprall aus den Händen. Er versuchte nach ihr zu greifen, doch da sprang das Wesen schon auf ihn. Doch der Sprung, der ihm zuvor so schnell erschienen war, schien nun wie in Zeitlupe zu vergehen. Es war als spränge die Bestie durch einen zähen Sirup, die Klauen weit ausgestreckt und das Maul weit geöffnet. Dorin schlug mit bloßer Faust zu und traf es noch im Flug am Kinn, mit der anderen Hand packte er es und warf es über sich hinweg. Im fallen schlug das Wesen zu. Eine Kralle fuhr über Dorins rechte Wange und nur knapp am Auge vorbei. Dorin ignorierte den Schmerz. Er warf sich herum, auf die Bestie drauf und schlug zu. Mit einem Arm und einem Bein fixierte er die Arme der Bestie unter sich, während er mit dem anderen Arm immer und immer wieder zuschlug. Das Wesen wand sich und schrie, doch es konnte ihm nicht entkommen. Er legte seine gesamte Wut in jeden einzelnen seiner Schläge. Knochen brachen, Haut riss, schwarzes Blut floss aus den Wunden, der Kreatur, doch Dorin lies nicht locker. Er schlug weiter zu.

Das Wesen hatte schon lange aufgehört sich zu wehren, als Dorin sich Losreißen konnte. Er stand auf. Schwarzes Blut klebte an seiner Faust und in seinem Gesicht. Langsam bewegte er sich von dem Wesen weg und stieß mit dem Rücken gegen den Türrahmen.

Er blickte nach draußen. Die Wolken hatten sich verzogen und der Himmel war klar. Abertausende Sterne funkelten vor sich hin. Ein zunehmender Mond leuchtete hell und tauchte die Welt in silbrig, weißes Licht.

Dorin ging hinaus. Schritt über den Leichnam von Amirin oder dem, was davon übrig war und trat auf das Feld neben dem Bauernhof. Das Schlachtfeld lag still und ruhig vor ihm. Was am Tage völliges Chaos war, war nun auf seltsame Art friedlich.  Es war fast schön. Dorin musste lachen. Er hatte überlebt. Er hatte den heutigen Tag überlebt. Aber was würde morgen sein?

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